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.«Sie schwieg.Die Sache mit den Molekülen.Was da vom Breisgau so alles nach Osijek kam.Zu spät für Ben Liebermann, um nicht mehr zu tun, als nur zu übersetzen.Sie lächelte flüchtig.Ein Mann, der sich bereitwillig in ihren Abgrund stürzte.Aber vielleicht war es ja auch der eigene.Štrpci vermittelte einen anderen Eindruck als die Dörfer, durch die sie gekommen waren.Sie sah nur wenige zerstörte oder verfallende Gebäude, dafür immer wieder Neubauten in Weiß oder Gelb, bei manchen bestanden die Mauern aus unverputzten Ziegeln, wie sie es in Slawonien häufig gesehen hatte.Kein wohlhabender Ort, aber irgendwie wirkte er aufgeräumt und ganz zufrieden.Sie hielten auf der Hügelkuppe vor der Kirche.Erst jetzt wurde das Ausmaß des Dorfes deutlich.Kilometerweit zog es sich im Dezembergrau entlang schmaler Straßen über den Kamm.Während Ben Liebermann das Pfarrhaus suchte, ging Louise zu der wunderschönen orthodoxen Kirche, die aus allen Richtungen von weitem zu sehen sein musste.Sie erinnerte sich, dass Andreas Eisenstein erzählt hatte, im Zentrum des deutschen Dorfes habe sich das Zentrum des serbischen Dorfes befunden, Kirche und Schule für die verstreuten serbischen Bauernhöfe.Dies musste die Kirche sein, von der er gesprochen hatte, frisch renoviert, gestrichen, vielleicht in Teilen neu gebaut.Sie hörte Ben Liebermanns Stimme, sah ihn vor einem Haus mit einem Mann sprechen.Der Mann deutete, Ben Liebermann deutete, irgendwo die Straße hinunter also.Ben Liebermann.Eine merkwürdige Geschichte.Man kannte sich gerade einmal zwei Tage, und doch waren Gefühle und Möglichkeiten und viele, viele Gedanken und Wünsche da.Man wusste so wenig vom anderen, aber vielleicht wusste man eben ein paar entscheidende Dinge.Eine merkwürdige, traurige Polizistin mit einem verrückten Vorhaben.Ein ausgebrannter Exkollege, der vom Krieg nicht loskam.Solche Dinge.Einfach nur das richtige Leben, die richtige Zeit?Die Kirche war auf drei Seiten von Gräbern umgeben.Keine Mauer, kein Zaun, wie selbstverständlich waren die Toten in die Hügelkuppe, ins Dorf, ins Leben der anderen Menschen hineingelegt worden.Ein friedvoller, stiller, schöner Ort.Ein Ort für Jenny Böhm, dachte sie, der Frieden der Toten und der Natur.Ein bizarrer Frieden, denn hier waren vermutlich auch die Mordopfer Biljana und Snježana beerdigt worden, und das Land rings um Štrpci war noch immer vom Krieg gezeichnet.Vielleicht besagte dieser Widerspruch auch nur, dass nicht allein das Erinnern wichtig war, sondern auch das Vergessen.Das Vergessen nach dem Erinnern.Sie musste nicht lange suchen.Ein einfacher schwarzer Grabstein, anders als bei fast allen anderen Gräbern ohne Fotografien der Toten, eingraviert nur zwei Namen und ein Datum, Biljana – Snježana, 06.04.1999.»Du passt nicht auf«, sagte Ben Liebermann dicht hinter ihr.Erschrocken fuhr sie herum.Er hatte recht.Sie hätte nach Antun Lončar Ausschau halten müssen und hatte es nicht getan.Sie war müde.Sie war es leid, irgendwo drinzustecken, ohne zu wissen, worin.Ohne zu wissen, wie sie wieder rauskommen sollte.»Verdammt, du passt nicht auf.«»Nein, ich passe nicht auf.«»Ja«, knurrte Ben Liebermann.»Hast du das Grab gesehen?«»Ja, ja«, knurrte Ben Liebermann.»Komm jetzt.«Sie wandten sich ab, gingen Richtung Auto.»Was sagt der Pfarrer?«»Dass er neu ist und dass wir den Bürgermeister fragen sollen.«Sie stiegen ein.»Wir können nach Osijek zurückfahren, wenn du möchtest«, sagte Ben Liebermann.»Alles lassen, wie es ist, akzeptieren, was passiert ist, zurückfahren und vergessen.Möchtest du das?«»Nein.«»Dann pass verdammt nochmal auf.«Sie ließ den Motor an, sagte: »Ich wäre jetzt am liebsten allein.«»Dafür ist es zu spät.«»Ja.Aber wir gehen meinen Weg in meinem Rhythmus.«»Und wohin führt uns dein Weg?«Sie lächelte.»Zum Bürgermeister.«Der Bürgermeister zeigte sich misstrauisch und einsilbig, antwortete erst, nachdem Ben Liebermann ihm irgendeinen geheimnisvollen Ausweis gezeigt hatte.Er war klein, kräftig, hatte eine zu hohe Stimme, ausdruckslose Augen und sprach ohne jede Gestik und Mimik.Louise fragte sich, wer diesen unangenehmen Mann wählen mochte, aber vielleicht hatte er verborgene Qualitäten.Fünf Minuten verstrichen, Ben Liebermann fragte, wurde immer unruhiger, der Bürgermeister antwortete, wurde wieder einsilbiger.Dann trat er ins Haus zurück und schloss die Tür, und Ben Liebermann sagte: »Komm.«Im Auto erzählte er.Antun Lončar war hier.Nicht in Štrpci, aber in der Gegend, irgendwo in einer Hütte in den Wäldern, und manchmal kam er ins Dorf, ging zu dem Haus, in dem er gelebt hatte, zum Grab seiner Frau und seiner Tochter.Dann verschwand er wieder, niemand wusste, wohin.Manchmal blieb er für Wochen weg, dann war er plötzlich wieder da, stand am Friedhof, vor dem zerstörten Haus.Mitte und Ende November waren Polizisten hier gewesen, das Rechtshilfeersuchen aus Deutschland, wegen der Minen hatten sie sich nicht in die Wälder getraut.Dorthin traute sich nur Antun Lončar, der wusste, welche Wege sicher waren und welche nicht.Also nicht Osijek, nicht Poreč, dachte Louise, sondern tatsächlich Štrpci, Schutzberg, wo im November 1942 alles angefangen hatte und im April 1999 alles zu Ende gegangen war.»Du hast ihn gefunden«, sagte Ben Liebermann.»Ja.«»Genügt das nicht, Louise?«Umkehren, nach Osijek fahren, vergessen?Sie konnte doch noch nicht vergessen.Sie schob die Sonnenbrille ins Haar, sah Ben Liebermann an.»Ich muss meinen Weg zu Ende gehen.«»Nein«, sagte Ben Liebermann.»Du willst ihn zu Ende gehen.«Sie nickte.»Und? Kommst du mit?«Ben Liebermann wandte sich ab, hob die Hand.»Da vorn links.«Das Haus, in dem Antun Lončar und seine Familie unter dem Mädchennamen Biljanas gelebt hatten, war nach dem Brand nicht wieder aufgebaut worden, hatte der Bürgermeister gesagt, und so war es.Das letzte Haus im Dorf, in der Nähe des ehemaligen deutschen Friedhofs, eine Ruine, nur noch die Mauern standen, vom Feuer geschwärzt, eine der Wände von oben nach unten wie an einer Nahtstelle aufgeplatzt.Wieder ein zerstörtes Haus, dachte Louise, während sie ausstiegen, wie in Poreč.Wie in den Dörfern von Slawonien, an der Straße durch die Republika Srpska.Wie in Merzhausen.Sie sah die andere Ruine vor sich, das schwarze, qualmende Gerippe aus Stahlträgern, Decken, Treppe, und in ihrem Kopf sagte Carola: Ist es ganz weg? Ist alles weg?Ben Liebermann ging um das Haus herum, sagte nichts, als er zurückkehrte, aber seine Miene war angespannt, und die rechte Hand lag auf dem Pistolenholster.»Ben.«»Was? Soll ich in einem Café auf dich warten?«Sie berührte seinen Arm.»Er wird nicht kommen.«»Er wird kommen.Ich kenne meine Bosnier.«Sie musterte ihn, begriff.»Der Bürgermeister?«Ben Liebermann nickte.Er hatte dem Bürgermeister gesagt, er habe eine Nachricht für Antun.Die Polizistin aus Deutschland sei gekommen.Ben Liebermann zuckte die Achseln.»Damit wir nicht tagelang warten müssen.«Louise sagte nichts.Wieder dachte sie, dass sie jetzt gern allein gewesen wäre.Dass sie ihren Weg gehen wollte, nicht Ben Liebermanns Weg.Nur so konnte sie sicher sein, dass sie am Ende das Richtige tun würde.Dass am Ende das Richtige geschehen würde.Von dem ehemaligen deutschen Friedhof war nichts zu sehen, keine Mauern, keine Gräber.In der Nähe des Hauses befand sich lediglich ein kleines, kahles Winterwäldchen, in das ein von verdorrtem Laub bedeckter Pfad führte.Ben Liebermann ging voraus, sehr langsam und vorsichtig, womöglich auch hier noch Minen.Nach fünfzehn, zwanzig Metern sahen sie im Unterholz eine steinerne Grabplatte, ein paar Schritte daneben eine zweite.Grabsteine gab es nicht, weitere Gräber fanden sie nicht.Ein Friedhof, der zu einem Wald geworden war.Auch die deutschen Toten von Schutzberg waren verschwunden [ Pobierz całość w formacie PDF ]